Die Herausforderungen entstehen aus den Eigenschaften von KI-basierten Methoden: Die Leistungsfähigkeit von technischen Systemen, die Methoden des maschinellen Lernens (ML) nutzen, kann im Voraus oft nur schlecht eingeschätzt werden. Dies erschwert verlässliche Aussagen über Sicherheit und Zuverlässigkeit. Dem steht ein großer möglicher Nutzen gegenüber: Erfolgreich eingesetzt, können datengetriebene Verfahren Entscheidungen häufig schneller und besser treffen als es mit klassisch entwickelten Verfahren möglich wäre. So unterstützen sie den Menschen, entlasten und ergänzen ihn. In der industriellen Produktion führen ML-Verfahren zu qualitativ hochwertigeren und damit langlebigeren Produkten, steigern die Ressourceneffizienz oder ermöglichen vorausschauende Wartung. Im Bereich der Mobilität können ML-Verfahren die Fahrsicherheit erhöhen, z. B. durch Notbremsung in Gefahrensituationen, und so Leben retten.
Um KI-basierte Komponenten effektiv und effizient in bestehende oder neue Anwendungen zu integrieren, ist ein systematisches Vorgehen essentiell. Etablierte Vorgehensmodelle des Systems Engineering sind für komplexe technische Systeme gedacht. Der Einsatz von KI und ML bringt jedoch neue Herausforderungen, auf die ein dediziertes Vorgehensmodell explizit eingehen sollte.
KI-Lösungen systematisch entwickeln und betreiben mit KI-Engineering
PAISE® [1], das Process Model for AI Systems Engineering, ist speziell für die Entwicklung und den Betrieb von KI-basierten Systemen gedacht. Es kombiniert Vorgehensweisen aus der Informatik und datengetriebenen Modellbildung mit denen klassischer Ingenieurdisziplinen, um die Herausforderungen zu überwinden. AI Systems Engineering, übersetzt KI-Engineering, nennen die Wissenschaftler*innen den interdisziplinären Ansatz, an dem sie seit Mitte 2020 arbeiten. »Mit KI-Engineering wollen wir die Entwicklung und den Betrieb von KI-basierten Lösungen systematisieren. Nur wenn KI-Methoden aus ingenieurtechnischer Sicht verlässlich eingesetzt werden können, bietet sich die Chance, das hohe Wertschöpfungspotenzial zu heben«, sagt Prof. Dr.-Ing. habil. Jürgen Beyerer, Leiter des Fraunhofer IOSB und des wissenschaftlichen Direktoriums in CC-KING. »Mit PAISE® haben wir ein Instrumentarium geschaffen, das insbesondere auch kleinen und mittleren Unternehmen einen praktischen Leitfaden an die Hand gibt, um dieses Ziel zu erreichen«.
In der Entwicklung kann es schwierig sein, die Performanz eines cyber-physischen Gesamtsystems mit KI-Anteilen vorab abzuschätzen. »Damit können auch zu einem späten Zeitpunkt noch Änderungen am High-Level Design des Gesamtsystems notwendig werden«, sagt Constanze Hasterok, Wissenschaftlerin am Fraunhofer IOSB und Editorin des PAISE® Modells. »Dieser Effekt tritt unter anderem dann ein, wenn die finalen ML-Modelle mit Daten aus dem echten Betrieb trainiert werden. Bei Neuentwicklungen stehen qualitativ hochwertige Daten aus dem Betrieb aber typischerweise erst spät zur Verfügung.« Für den Betrieb sei ein Überwachen und idealerweise automatisches Anpassen von ML-Modellen notwendig, wenn sich Systeme und ihre Umgebungsbedingungen über die Zeit verändern können.
Hinzu kommen personelle Schwierigkeiten: In der Regel haben – vor allem mittelständische – Betriebe keine eigenen KI-Expert*innen. Gleichzeitig müssen Verantwortungsträger*innen wissen, welche KI-Expertise langfristig für den Betrieb KI-basierter Systeme verfügbar sein sollte und wie der Entwicklungsprozess und seine Zwischenergebnisse zu bewerten sind.